Der Wettbewerb mit Lebensmitteln – brauchen wir so viel Auswahl?
Der Wettbewerb im Supermarkt - wieso 25 Regelmeter Milch scheinbar immer noch nicht ausreichen.
Bist du auch schon mal die Regale im Supermarkt abgelaufen und hast dich gewundert über die acht Meter H-Milch-Regale und die gefühlten 300 Packungen Müsli? Obwohl du dir schon beim Betreten des Supermarktes klar gemacht hast, dass du sowohl Milch als auch Müsli brauchst, konntest du dich nur schwer entscheiden. Vielleicht bist du auch verzweifelt und ohne etwas zu kaufen einfach wieder gegangen? Mir geht das zumindest manchmal so. Vielleicht hast du dich auch noch nie gewundert über das Überangebot in den Supermärkten, Warenhäusern und Onlineshops. Das ist nicht schlimm. Denn das Überangebot kam nicht plötzlich, sondern schleichend. Es war ein Prozess. Doch wo führt dieser hin?
Überangebot überfordert uns immer mehr.
Überangebot gibt es nicht nur in den Regalen der Supermärkte. Das Überangebot lauert überall und es ist vielseitig und vielschichtig. Wir verfügen heute über die Möglichkeit schnell und nahezu grenzenlos zu kommunizieren, wir können weiter und länger Verreisen, wir können im Supermarkt unsere Lebensmittel aussuchen aus kilometerlangen Regalen – aber sind wir dadurch effizienter, freier oder gar glücklicher als die Generationen vor uns? Wissenschaftler sind sich einig: Ganz im Gegenteil, wir sind hoffnungslos überfordert von unseren Möglichkeiten.
Eine E-Mail zum Beispiel wird heute schneller und unkomplizierter geschrieben als ein Brief. Aber die vermeintlich gewonnene Zeit und Effizienz ist oft nur ein Irrglaube. Natürlich wird rein technische eine E-Mail schneller übermittelt als ein Brief, doch das wiederum setzt den Empfänger unter Druck ebenso schnell und effizient darauf zu antworten. Haben wir früher einen Brief pro Woche geschrieben, so schreiben wir heute 50 E-Mail und Kurznachrichten per Whatsapp oder als SMS. Wir posten Statusupdates auf Facebook, wir twittern und halten Videokonferenzen. Alle diese Möglichkeiten werden genutzt für eine bessere Kommunikation. Doch funktioniert dadurch die Kommunikation wirklich besser? Panisch schauen wir im Minutentakt auf unser Handy, denn die Möglichkeiten sind so verlockend und die Angst etwas zu verpassen viel zu groß. Was man früher mit viel Hingabe in einem Brief übermittelt hat, wird heute über 30 Kurznachrichten in Gruppen verteilt. Und die Aufmerksamkeit die hierfür benötigt wird ist immens. Doch was hat das mit dem Überangebot aus dem Supermarkt zu tun? Wir kommen gleich darauf zu sprechen, versprochen.
Die Effizienz ist eine Lüge, die Überforderung ihr Preis.
Bleiben wir noch einen kurzen Augenblick bei den vielfältigen Kommunikationskanälen die wir heute nutzen können: Die scheinbare Beschleunigung im Privaten sowie im Beruf, liegt einerseits an den neuen Formen der Kommunikationsmöglichkeiten, die uns ständig erreichbar machen und uns glauben immer effizienter zu kommunizieren. Andererseits liegt es daran, das wir Menschen einfach den Drang haben, nichts verpassen zu wollen. Natürlich erwartet auch jeder heutzutage der uns kontaktiert, dass er zeitnah eine Antwort oder Reaktion erhält. Ein Like hier, ein Herzchen da. Doch was bleibt am Ende?
Das man viele Möglichkeiten zur Kommunikation zur Auswahl hat klingt doch erstmal ganz gut. Ist es auch. Doch ab einem gewissen Punkt der überschritten wird, kann die Vielzahl der Möglichkeiten auch zur Belastung werden. Und an diesem Punkt möchte ich nun endlich wieder den Haken schlagen zu unseren Lebensmittel im Regal: Auch ein Überangebot an Lebensmitteln kann zur Belastung werden und das in verschiedener Hinsicht.
Tante Emma ist tot, es lebe die Auswahl die wir nicht wollen.
Es ist natürlich toll wenn man nicht jeden Tag den selben Joghurt essen muss. 10 verschiedene Geschmacksrichtungen? Kann noch hinhauen, weil jeder hat natürlich einen anderen Geschmack. Bratapfel-Holunder-Kirsch? Hört sich interessant an, doch wer isst sowas? Der beliebteste Joghurt ist immer noch der mit Erdbeere. Daran hat sich seit 50 Jahren nichts geändert. Doch heute gibt es keine 10 Geschmacksrichtungen von einer Firma. Heute gibt es 40 verschiedene Joghurts DER SELBEN Geschmacksrichtung von 40 verschiedenen Herstellern. Welchen Schokopudding oder welchen Erdbeerjoghurt, welche Milch oder welches Ei soll ich denn da nehmen? Die Auswahl kann uns schnell überfordern.
Diese psychologische Überforderung lässt sich auch anhand von Tests beweisen. Bast Kast der Autor von „Der Ernährungskompass“* hat bereits davor ein ebenso lesenswertes Buch mit dem Titel „Ich weiß nicht was ich wollen soll“* geschrieben. Im Buch werden viele wissenschaftliche Studien zu unserer gesellschaftlichen Überforderung angeführt. Eine davon, kenne ich selbst nur zu gut:
Das Marmeladen-Experiment
Stelle dir bildlich zwei Verkaufsstände in einem Supermarkt vor. Auf dem einen Verkaufsstand stehen 6 Sorten Marmelade, auf dem anderen 24 Gläser Marmelade. Das Ergebnis: Die Menschen bleiben viel öfter am Tisch mit den 24 Gläser Marmelade stehen, probieren viele Sorten durch (mehr auch als am ersten Tisch). Tisch 1 mit nur einem Viertel des Angebots hat weniger Menschen am Tisch und weniger Verkostungskontakte als Tisch 2. Allerdings hat Tisch 1 viel mehr zahlende Kunden. Wie kann das passieren? Als die Teilnehmer gebeten wurden auch etwas zu kaufen, trat durch das Überangebot an Tisch 2 Verwirrung auf. Es wurde noch mehr probiert und getestet aber es wurde sich weniger auf einen Kauf festgelegt. Mehr als 50 % der Kunden an Tisch 2 konnten sich nicht entscheiden und kauften besser gar nichts.
Sich zu Entscheiden ist die richtige Wahl
Wer versteht, dass jedes Festlegen eine gute Entscheidung bedeutet und nicht der Verzicht auf die vielleicht bestehenden, anderen Möglichkeiten, derjenige hat psychologisch gesehen schon viel gewonnen. Doch wer will schon auf etwas verzichten? Ist unser Problem die Vielzahl der Optionen von denen wir uns geißeln lassen? Vielleicht fressen wir uns deswegen einmal durch die Speisekarte und lassen lieber von allen Gänge etwas übrig, vielleicht bekommen wir deshalb nicht die Kühlschranktüre zu, weil die Angebote diese Woche doch so verlockend waren?
Das große Problem das wir denken zu haben, ist die Tatsache, dass die Anzahl an Optionen stetig steigt und wir immer mehr glauben etwas zu verpassen. Der Ausstieg aus diesem Teufelskreis ist allerdings so simple wie banal: Wir brauchen nur wenig um glücklich zu sein. Gerade im Bereich der Lebensmittel ist die Anzahl der Produkte die wir wirklich brauchen relativ gering. Wer hier nach Plan bzw. Einkaufszettel einkauft, sich nicht blenden lässt von Sonderangebote, Limited Editions oder Großpackungen, der wird nicht nur Geld und Ressourcen schonen, sondern auch seine Psyche. Wer sich also „richtig“ entscheiden will, der sollte bewusst verzichten.
Wieso haben wir überhaupt ein Überangebot in den Supermärkten?
Wieso das so ist ist schwer zu beantworten. Allerdings ist neben der psychischen Überforderung von uns ein weiteres Problem ein Resultat des Überangebots: Die Lebensmittelverschwendung. Laut des WWF wird in Deutschland rund ein Drittel der Lebensmittel nicht genutzt und in den Müll geworfen. Jährlich sind das etwa 18 Millionen Tonnen Lebensmittel oder noch drastischer ausgedrückt: Die ersten 3,5 Monate der Lebensmittelproduktion landet jährlich auf dem Müll. Supermärkte tragen einen Beitrag zur Lebensmittelverschwendung bei, doch der Großteil der Verschwendung findet immer noch im privaten Haushalt statt. Laut einer Studie der Uni Stuttgart wandern daher nur 5 % der Lebensmittel im Handel in den Müll. 61 % hingegen stammen aus dem privaten Haushalt (jeweils 17 % Großverbraucher und Industrie). Diese Zahlen veranschaulichen zumindest die tatsächliche Macht der Konsumenten. Denn was war zuerst da: Die Nachfrage oder das Angebot?
Wir haben verschiedene Vertreter des Handels angeschrieben, um sie dazu zu befragt. Ernüchternd waren die Antworten. Kaum einer wollte mit uns reden. Schriftlich wurde uns von einem großen Discounter mitgeteilt dass „das Angebot stetig den Anforderungen der Verbraucher angepasst wird“. Doch was heisst das genau?
Nico Buchholz von der Osnabrücker Zeitung hat bereits im Jahr 2017 die Supermarktriesen in seinem Beitrag zu Wort kommen lassen. Dort heisst es, dass bei allen Supermärkten bereits bei der Bestellung (Automatisierung, geschultes Personal) darauf geachtet wird keine zu großen Mengen zu ordern. Sollte dennoch etwas übrig bleiben, wird dies den Tafeln oder auch Initiativen wie Foodsharing zur Verfügung gestellt.
Wie viel Lebensmittel brauchen wir wirklich?
Ob ein Warenangebot ausreichend ist, entscheiden viele Menschen natürlich zuerst nach ihren eigenen Wünschen und Vorstellungen. Wir haben in unserer eigenen Facebook-Gruppe nachgefragt:
Für einen neuen Beitrag möchten wir gerne deine Meinung wissen. Findest du, dass es ein Überangebot in den Supermärkten gibt oder bist du mit der Auswahl so wie sie ist zufrieden? Oder findest du sogar das es mehr Auswahl geben sollte?
Natürlich haben wir ganz absichtlich nicht dazu geschrieben, dass es ganz allgemein um das Warenangebot in den Supermärkten geht. Was ist also passiert? Wer so etwas in einer vegetarischen/veganen Gruppe postet, bekommt natürlich die Antwort die man erwarten kann: sehr viele sprechen sich für ein größeres, pflanzliches Warenangebot aus. Das Ergebnis war vorhersehbar und auch gut so.
Doch was passiert wirklich im Handel? Aufgrund der Nachfrage von mehr vegetarischen und veganen Lebensmitteln schrumpft das Angebot der fleischen Kost natürlich nicht. Im Gegenteil: Aus Tante Emma wurden dreistöckige Einkaufstempel mit einem Warenangebot von tausenden von Artikeln (Beispiel: Kaufland bietet ca. 30.000 Artikel unter einem Dach). Das Gesamtangebot wächst jährlich weiter. Kleinere Ladenflächen schließen und Discounter findet man immer öfter in Industriegebieten anstatt in Wohnsiedlungen.
Verdrängungswettbewerb anstatt Sättigung der Nachfrage.
Der Handel hat ein Problem: Es gibt schon alles! Deshalb vielleicht versucht man neben den gut laufenden Produkte auch immer mal wieder den Joghurt mit Bratapfel-Holunder-Kirsch ins Angebot zu setzen. Irgendwer wird es ja schon mal ausprobieren wollen. Und als wir eigentlich hinter unseren Beitrag bereits einen Haken machen wollten, bekamen wir einen Anruf. Ein Freund von einem Freund brachte uns zwei Aussendienstler aus dem Handel an den Start. Beide wollten unsere Fragen beantworten aber sich nicht treffen und völlig anonym bleiben. Prinzipiell ist das für uns okay, aber diese James Bond-Nummer waren wir nicht gewohnt und wir hatten auch keinerlei Möglichkeit die Angaben zu überprüfen. Daher geben wir die Essenz aus beiden Quellen gerne wieder, aber nicht die O-Töne.
Was beide voneinander unabhängig schilderten war die Tatsache, dass es jedes Jahr einen größeren „Warendruck“ gebe. Also der Wunsch ihrer Firmen für die sie arbeiteten, (beide sind mittlerweile anderswo beschäftigt) dass die Händler immer mehr und schneller Ware nachordern. Es gäbe verschiedene Möglichkeiten um die Ware an die Händler heranzutragen: Displays und sogenannte Zweitplatzierungen, die für Impulskäufe sorgen sollen. Aber auch Versprechungen mit finanziellen Hilfen oder Gratiswaren für die Händler, seien gängige Geschäftspraktik. Was der Händler nicht verkauft bekäme er im vollem Umfang ersetzt.
Ein weiterer Punkt gab nur einer der Beiden an: Die Verdrängung der Konkurrenz sei wichtiger, als mir Augenmerk zu produzieren. Das erziele man durch einen starken Warendruck, hohe Warenverfügbarkeit, Zweitplatzierungen und generell die starke Präsenz im Regal. Wer heute ein gut laufendes Produkt verkauft, der wird direkt mehr wollen und noch mehr von seiner Marke in die Regale packen, um die Sichtbarkeit zu erhöhen.
Was wir wollen und was wir brauchen - wir haben es in der Hand.
Unsere Recherche hat ergeben, dass wir es sind die es in der Hand haben. Der Konsument entscheidet mit seinem Kauf für welche Marken und Firmen er sein Geld einsetzt. Die Industrie und die unzähligen Marken und Eigenmarken in den Regalen konkurrieren stark. Unsere Lebensmittelpreise sind im internationalen Vergleich ausserordentlich günstig. Der starke Konkurrenzdruck lässt die Preise stabil und erschwinglich erscheinen, allerdings auch auf Kosten eines unsinnigen Überangebots welches zur Lebensmittelverschwendung erheblich beiträgt. Wir alle kaufen zu viel und nicht bewusst genug. Wir alle lagern mehr in unseren Kühlschränken als wir verbrauchen. Vielleicht sollten wir lieber ein wenig Geld in die Produkte stecken, die uns gut tun, die Tiere nicht ausnutzen und Ressourcen schont. Vielleicht sollten wir lieber die kleinen Erzeuger mit unserem Kauf unterstützen, anstatt die großen Lebensmittelgiganten? Und vielleicht sollten wir lieber unseren eigenen, selbstgemachten Erdbeerjoghurt wertschätzen anstatt den Bratapfel-Holunder-Kirsch von Ehrghurt oder so….
Verdammt jetzt hab ich drei verpasste Anrufe und 14 neue Whatsapp.
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