Wie ich versehentlich zum Minimalist wurde…
Minimalismus und ich.
Ich war ziemlich ausgelaugt. Von allem. Die Arbeit war nur noch purer Stress und das Privatleben irgendwie auch. Nach einer üblichen, harten Arbeitswoche sah ich mich immer genötigt, etwas mit meiner freien Zeit anzufangen und auch mein Belohnungszentrum im Kopf schrie so laut, dass ich es nie überhören konnte.
Aufstehen, arbeiten, erledigt nach Hause kommen, um dann vor dem Fernseher einzuschlafen. Am Wochenende der übliche Freizeitstress und kaum etwas davon konnte ich wirklich genießen. Das Wort Minimalismus war für mich kein Begriff. Im Gegenteil: Ich war Maximalist. Was ging habe ich getan.
Von 100 auf 0 in 10 Minuten...
Ich hätte wohl immer so weiter gemacht, hätte mein Körper mir keine Signale geschickt. Mitten in einer Kinovorstellung überkam mich ein stechender Schmerz in der Brust und meine Hände wurden in drei Sekunden von furztrocken zu klatschnass. Kalter Schweiß rannte mir den Rücken runter und mein Brustkorb hüpfte Trampolin nach innen. Zuerst dachte ich an einen Herzinfarkt. Das Krankenhaus stellte nichts fest. Der Hausarzt überwies mich zu einem Neurologen. Fazit: Panikattacke.
Unangenehm, nervend aber nichts dramatisches. Ich musste akzeptieren das mein Körper Faxen macht die ich erstmal nicht wirklich unter Kontrolle hatte. Heute kann ich gut damit leben. Viel interessanter war aber der Zeitpunkt der ersten Attacke. Ich hatte wahrscheinlich Schlimmeres abgewehrt, da ich bereits vor der ersten Attacke meinen Job gekündigt hatte. Eigentlich hätte mir mein Körper Glücksgefühle schenken sollen, anstatt so einen Mist. Aber mein Körper hatte sich an eine gewisse Belastung bereits gewöhnt und war vielmehr mit der plötzlichen Entlastung überfordert. Neue Perspektiven waren für mich immer notwendig und Angst eine falsche Entscheidung zu treffen immer präsent. Eventuell hat meine Angst diese Panikattacken begünstigt. Wer weis. Wäre ich aber dem üblichen Wahnsinn weiter treu geblieben, hätte es eventuell zu Depressionen oder gar zum Burn Out geführt. Ich hatte also die Reißleine zum richtigen Zeitpunkt gezogen und meine Panikattacken waren nur das Resultat. Eine Art Nachbeben das ich einfach überstehen musste. Danach sollte ich einfach wieder alles aufbauen was zusammengestürzt war. Aber ich wollte nicht wieder mit den alten Steinen das selbe Haus aufbauen. Ich wollte dieses mal mein Leben als Grundgerüst völlig anderes gestalten.
Bin ich jetzt ein Minimalist?
Es war nicht nur das Resultat aus meiner damaligen geistigen und seelischen Verfassung heraus, sondern ich glaube es hatte auch etwas mit meinem Alter zu tun. Ich hatte die 30 Jahre überschritten, immer im Hamsterrad gefangen, welches ich mir selbst immer größer gestaltet hatte als es vielleicht vernünftig war. „Wer viel leistet bekommt auch viel Geld“, hatte man mir immer gesagt. Die Wahrheit war: Ich habe mich 15 Jahre lang im Einzelhandel verfahren und musste mich mit immer höherem Druck und längeren Öffnungszeiten herumschlagen. Irgendwann konnte ich die gewünschte Flexibilität und die Unterbezahlung nicht mehr akzeptieren. Geld spielte für mich nie eine große Rolle aber ich legitimierte damit meine verlorene Lebenszeit. Wenn ich mich schon komplett aufreise, dann zumindest zu einem vernünftigen Gehalt. So war zumindest meine damalige Einstellung. Wahrscheinlich war ich deswegen solange bei einem der größten deutschen Discounter Deutschlands. Dieser zahlte wenigstens gut für die Schufterei. Doch Geld war wie gesagt nicht alles. Mir war Zeit immer viel wichtiger. Ich wolle keine Überstunden ausbezahlt haben sondern in Freizeit zurückerhalten. Ich wollte zuletzt auch nicht meinen 40 Stunden Vertrag über mehr als die doppelte Zeit der Öffnungszeiten erfüllen. Immer flexibel. Immer zur Stelle.
Das war es. Ich kündigte. Und gleichzeitig hinterfragte ich absolut alles. Was will ich und wieso? Was belastet mich und wie sehr bin ich daran auch selbst Schuld? Nachdem ich mir meine Zeit zurückgekämpft hatte passierte aber etwas, wovon ich eher Angst hatte. Vielleicht kennst du das auch? Ich bin zumindest so erzogen, dass man etwas leisten MUSS. Egal was. Doch ich tat nichts. Zuerst. Aber es passierte auch nichts. Zuerst. Es war einfach nur Raum zum Denken da. Rückblickend ist für mich das der erste Schritt wenn du dich mit Minimalismus beschäftigen willst: Schaffe dir einen Raum (physisch und psychisch) um zu Denken. Wie lange diese Prozedur dauert und ob sie bei dir überhaupt funktioniert, weiß ich natürlich nicht. Bei mir hat die Prozedur seitdem nicht mehr aufgehört aber den ersten großen Anschub, den gab es innerhalb weniger Wochen.
Minimalismus hat keine Regeln...
Als ich auf die Bewegung der Minimalist*innen gestoßen bin, war ich bereits mittendrin. Und ich war froh über neue Inspiration und Antrieb die von Gleichgesinnten stammte. Doch waren wir wirklich so gleichgesinnt? Ehrlich gesagt pickte ich mir die Dinge heraus die zu mir passten und musste auch direkt feststellen, dass der Minimalismus keine straffen Regeln verfolgt. Es sind vielmehr Ideen als klare Strukturen. Was du dir in dein Leben ziehst, kannst du dir selbst zu einer Struktur zurechtrücken. Du musst es aber nicht. Du musst rein gar nichts. Und das war mir sehr sympatisch. Denn ich hatte den Tatendrang meine Bücher zu sortieren, Klamotten auszumisten, Schubladen auszumüllen um damit mehrmals auf den Flohmarkt zu rennen. Fernseher und Handy abgeben? Neee! Vielleicht bin ich von noch so viel mehr abhängig als ich es vermute. Im ersten Anlauf war mir aber wichtig, all das loszuwerden was mich belastete. Und das war eben der Job aber auch die 200 verschiedenen Socken in meinem Wäschekorb, für die ich immer fast eine Stunde brauchte um das gemeinsame Paar zu finden.
Minimalismus hat viele Ansätze. Wenn du selbst anfängst deinen Konsum und deinen Besitz zu hinterfragen, bist du schon auf einem guten Weg. Ich finde das Wort „Genügsam“ auch sehr schön, obwohl es im Kern betrachtet gar nicht unbedingt um „weniger“ geht. Ich versuche es dir an einem Beispiel zu erklären: Weil ich hart am Arbeiten war wollte ich mir unbedingt eine Drohne kaufen (offensichtlich so gar nicht „minimalistisch“). Diesen Wunsch hatte ich schon lange gehegt und auch darauf gespart. Als ich die Drohne dann hatte wollte ich natürlich unbedingt damit Fliegen und vor allem Fotos und Videos machen. Mehrere Wochen – wohlgemerkt NACH dem Kauf – später bin ich erst damit geflogen und ich war eher überfordert als das es mir Freude bereitete. Der Kern dahinter: Ich musste natürlich vor dem Kauf das Ding und mein ganzes Leben finanzieren. Nach dem Kauf ging das ganze so weiter. Ich hatte schlicht und ergreifend keine Zeit oder war so ausgelaugt, diesem Konsumgut überhaupt etwas abzugewinnen. Ein anderes tolles Beispiel hatte ich mal auf einem Blog eines Fotografen gelesen. Er schrieb dort, dass er sich früher eine 3000 Euro teure Fotoausrüstung gekauft hatte, obwohl er noch Anfänger war. Auch er war im Hamsterrad so sehr gefangen, dass er sogar seine Ausrüstung wieder verkauft hatte, weil ihn alles überforderte. Nachdem er mehr Zeit gewonnen hatte, weil er weniger arbeitete, hat er sich nochmals mit seinem Hobby beschäftigt. Er konnte sich dann aber nur eine 1000 Euro Ausrüstung kaufen, diese aber richtig gut kennen lernen, beherrschen und letztendlich auch nutzen. Heute verdient er mit seinen Fotoaufträgen sogar Geld und hat sich damit selbstständig gemacht.
Aus diesem Grund geht es beim Minimalismus gar nicht unbedingt um „weniger“ oder um Verzicht. Oder nochmals anderes gesagt: Auch ein Verzicht kann durchaus ein Zugewinn sein. Denn in unserer Welt tauschen wir hauptsächlich Zeit gegen Geld ein um Geld wieder in Konsum oder den Lebensunterhalt zu stecken. Wenn wir uns aber fragen ob wir eine Sache wirklich brauchen oder nur wollen, dann können wir diesen Kreis oft schon leicht durchbrechen.
Was bedeutet Minimalismus?
Was also Minimalismus für einen selbst bedeutet muss man selbst herausfinden. Im Sinne von „weniger ist mehr“ sollten wir auf unser Sättigungsgefühl hören. Weniger essen, dafür hochwertigere Produkte – so klappt auch das Abnehmen. Weniger am Handy spielen bevor der Körper wieder nach einer Kopfschmerztablette schreit. Vielleicht aber auch weniger Verpflichtungen und sich auch mal Zeit nehmen für das gepflegte „Nichts tun“. Für mich bedeutet Minimalismus absoluter Zugewinn an Lebensqualität weil ich mein Hamsterrad nun auf die wichtigen Dinge des Lebens herunterreduziert habe. Diese Sätze, diesen Blog, all das hätte ich nicht auch noch in Angriff genommen, wäre ich in meiner fremdbestimmten 40 + Stundenwoche gefangen geblieben. Dafür leiste ich mir jetzt zwei Mal Essen gehen im Monat weniger, koche aber viel öfters frisch in der eigenen Küche. Zusammen mit meiner Frau. Entspannt. Und dabei erwachen neue Gedanken und Ideen, neue Inspiration für das eigene Leben. Sowohl im privaten Umfeld als eben auch im beruflichen Leben.
Daher ist Minimalismus dem eigenen Drang zu folgen. Nach mehr Freiheit, Flexibilität oder auch ganz konkret dem Wunsch eines aufgeräumten Kellers. Solltest du diesen Drang nicht verspüren, dann solltest du dich auch nicht weiter mit der Begrifflichkeit „Minimalismus“ beschäftigen. Vielleicht überkommt dich die Lust und der innere Drang zu einem anderen Zeitpunkt deines Lebens. Vielleicht auch nie. Solltest du aber fühlen was ich meine, dann empfehle ich dir eine zeitnahe Umsetzung deiner Projekte. Schiebe nichts vor dich her und verändere so dein Leben wie es für dich passt. Kleine, regelmäßige Schritte sind hierbei besser als ein großer Schritt, an dem man direkt die Motivation verliert. Ich habe zuerst meine Klamotten aussortiert und dann den Keller. Was brauche ich wirklich? Was habe ich seit mehr als einem Jahr nicht genutzt? Und würde ich es vermissen wenn es nicht mehr da wäre?
Und plötzlich gar kein Bock mehr auf Konsum...
In der Stadt bummeln? Neues Outfit shoppen am Wochenende in Barcelona? Was früher noch nach Spass für mich Klang ist für mich heute ein Graus. Ich habe schlicht keinen Lust mehr auf Einkaufen. Natürlich mache ich es noch zu genüge, aber nach anderen Gesichtspunkten. Früher stillte ich meinen Konsumdurst mit jeder Menge Blödsinn. Jede Fensterbank stand voll mit Deko, wenn die Wäsche komplett gewaschen war, passte sie nicht mal komplett in den Kleiderschrank. Heute gibt es eine „Erinnerungskiste“ die ich Fülle mit Fahrkarten, Eintrittskarten, Muscheln oder Bildern um mich an schöne Erlebnisse zu erinnern. Ich freue mich jedes Mal wenn ich etwas hineinlegen kann und ich schaue mir den Inhalt auch regelmäßig an. Meine Highlights des Lebens passen nun symbolisch in eine kleine Kiste. Ich brauche nicht das neuste Handy oder das 50 Paar Schuhe um mich „gut zu fühlen“. Ich achte mehr auf mich und meine tatsächlichen Bedürfnisse (Zeit für mich, Zeit für meine Familie, ehrenamtliche Tätigkeit, meine Leidenschaft zu Schreiben etc.) als auf Bedürfnisse die man scheinbar haben sollte um vielleicht gesellschaftlich mehr wahrgenommen zu werden.
Leute fragen mich oft: „Wie schafftst du es das du immer unterwegs bist“? Klar. Ich hatte früher auch nur 5-6 Wochen Urlaub im Jahr und musste die restlichen Wochen genau dafür arbeiten. Im Urlaub habe ich mir dann all das geleistet was ich über das Jahr über nicht konnte. Im Urlaub habe ich mir dann endlich etwas gegönnt und es richtig krachen lassen! Heute mache ich es anders: Ich mache keinen Urlaub mehr sonder ich verreise einfach. Das ist ein Unterschied den ich gerne erklären möchte: Ich gönne mir natürlich in meiner Auszeit mehr als sonst aber auch nicht zu übertrieben. Deshalb kann ich dafür öfter verreisen als andere. Da ich ein genügsamer Mensch geworden bin, reichen mir saubere aber auch einfache Unterkünfte. Ich würde mittlerweile mehr Verzicht in weniger Zeit und Freiraum sehen, als an Prestige oder Optik von Unterkünften. Daher auch hier: weniger ist manchmal mehr.
Und was ist jetzt?
Ich glaube der Begriff „Minimalismus“ ist ähnlich schwer zu Greifen wie der Begriff „Glück“. Beides kommt nicht einfach um die Ecke, sondern man muss selbst aktiv werden. Auch die Dehnbarkeit beider Begriffe ist extrem. Ich schlafe nicht auf dem Boden und bin im Besitz von Internet, Handy und TV. Für manch einen habe ich mit Minimalismus nichts zu tun. Das ist übrigens auch okay für mich. Ich würde mich selbst nicht als Minimalist bezeichnen obwohl ich ganz sicher aus der Masse des Durchschnittsdeutschen herausfalle. Ich habe für mich vielmehr erkannt das stupider Konsum nicht glücklich macht. Ich setzte alles daran Erwartungshaltungen zu entsprechen. Erwartungen die von außen kamen aber auch Erwartungen die ich fälschlicherweise an mich selbst stellte: Mehr Geld = größeres Auto zum Beispiel. Es ist ein Irrglaube das Besitztümer langfristig glücklich machen. Und genau deswegen investiere ich nur noch wenig Geld in Besitz. Ob das so bleibt oder ob ich noch auf mehr „verzichten“ kann und will, das wird die Zeit zeigen. Wie immer sind neue Erkenntnisse nichts das irgendwo anfängt und irgendwo aufhört. Ich sehe mein Leben als Prozess. Und im Moment bin ich glücklicher denn je…
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